Seit August 2017 ist Dr. Andreas Glöckner als Medical Director bei OPHARDT hygiene tätig. Durch seine über 25 jährige Erfahrung als Internist, Infektiologe und Intensivmediziner im Krankenhaus kennt er die Herausforderungen bei der Händehygiene im medizinischen Alltag nur zu gut.
In einem persönlichen Interview berichtet er mir, woran die indikationsgerechte Händedesinfektion des Klinikpersonals oft scheitert, schildert aber auch nachhaltige Lösungsansätze zur Verbesserung der Compliance und erklärt welche Rolle intelligente Spender- und Monitoring-Systeme in diesem Zusammenhang spielen.
Markus Marek: Die Händehygiene gilt als wichtigste Maßnahmen zum Infektionsschutz. In der Praxis wird sie jedoch zu selten korrekt durchgeführt. Was sind Ihrer Meinung nach Ursachen für diesen Missstand?
Dr. Andreas Glöckner: Obwohl die Händedesinfektion die einfachste, effektivste und wirtschaftlichste Hygienemaßnahme zur Vermeidung von Infektionen und der Verbreitung von multiresistenten Erregern ist, wird sie im klinischen Alltag nicht im erforderlichen Umfang praktiziert. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Händehygiene-Compliance auf den Stationen im Krankenhaus oftmals deutlich unter 50% liegt. Ursächlich für dieses relevante Problem sind verschiedene Aspekte zu benennen. Es beginnt mit lückenhaftem Wissen bezüglich der Indikationen für die hygienische Händedesinfektion gemäß den 5 Momenten nach den WHO Empfehlungen, und setzt sich mit unzureichenden Fertigkeiten in der Durchführung der Händehygiene fort. Personalmangel und die damit einhergehende zu hohe Arbeitsbelastung, insbesondere bei den Pflegekräften, die immerhin 80% aller Händehygiene Indikationen im Krankenhaus zu bewältigen haben, befeuern nahezu diese negative Realität. Es fehlt zudem sowohl in Qualität und als auch in Quantität an entsprechenden Schulungsmaßnahmen und fortwährender Widerspiegelung der lokalen Compliance-Situation sowie der aktuellen Rate an nosokomialen Infektionen. Nicht zuletzt sind häufig eine unzureichende Ausstattung mit Händedesinfektionsmittelspendern, die den KRINKO-Empfehlungen entsprechen, und deren Lokation zu bemängeln.
Markus Marek: Wie kann die Händehygiene konkret in der Praxis verbessert werden?
Dr. Andreas Glöckner: Nun könnte ich einfach sagen, indem man die zuvor aufgezeigten Ursachen beseitigt. Aber damit hätte ich es mir wohl zu einfach gemacht und bestimmte Probleme, wie den Pflegnotstand und den Mangel an Hygiene-Fachpersonal in deutschen Kliniken wird man wohl auch nicht so schnell beenden können. Gerade aus diesem Grund erscheinen eine stetige Optimierung der Arbeitsabläufe, eine adäquate Ausrüstung mit Spendern und der Einsatz von technischen Hilfsmitteln, wie Hygienemonitoring-Systemen als praktikable Lösungsansätze. Und es lohnt sich für Patient und Klinik, die Händehygiene zu verbessern. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Erhöhung der Händehygiene-Compliance proportional mit einer Abnahme der nosokomialen Infektionen einhergeht, variabel ist nur die Größenordnung. So konnte eine wissenschaftliche Arbeit beispielhaft zeigen, dass eine Erhöhung der Compliance um nur 10% zu einer Verringerung der Rate an nosokomialen Infektionen um 6,5% führte. Heißt rein praktisch für den Patienten: kürzere Verweildauer im Krankenhaus und geringere Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohlichen Sepsis zu entwickeln. Für die Klinik ergeben sich eine nachweisliche Verbesserung der Behandlungsqualität und Kostenersparnisse.
Markus Marek: Sie gaben soeben das Stichwort Hygienemonitoring-Systeme. Elektronische Messinstrumente für die Händehygiene etablieren sich zunehmend in Kliniken. Welchen Nutzen sehen Sie für die Verbesserung der Händehygiene-Compliance?
Dr. Andreas Glöckner: Mit Hygienemonitoring-Systemen kann man permanent, das heißt über 24 Stunden an jedem Tag des Jahres Daten über das Nutzungsverhalten der Händedesinfektionsmittelspender bereitstellen und nach individuellen Bedürfnissen mittels einer entsprechenden Software aufbereiten. Die so gewonnenen detaillierten Informationen zu Anwendungshäufigkeit, also Anzahl der Händehygiene-Ereignisse und tatsächlichem Verbrauch an Händedesinfektionsmittel können zeitnah für gezielte Schulungen des Personals genutzt werden. Sie können aber auch sehr gut zur Berechnung der Compliance herangezogen werden, die dann nicht nur, wie bei der Direktbeobachtung eine Momentaufnahme darstellt und nicht dem Hawthorne-Effekt unterliegt. Mehrere Untersuchungen haben nachgewiesen, dass dieser Effekt bei der Direktbeobachtung zu einer 2 bis 3-fach höheren Compliance führt, als in der unbeobachteten Situation. Was in Zahlen heißt, dass einer per Direktbeobachtung ermittelten Compliance von 75% eine Compliance von 25 bis 40% in der Nichtbeobachtungszeit gegenübersteht. So wird aus einer scheinbar annehmbaren Situation die eher unakzeptable Realität. Mit geringem Aufwand und absolut zeitnah können Veränderungen im Händehygieneverhalten detektiert werden und im Falle einer Abnahme der Compliance die notwendige Ursachensuche und gezielte Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.
Markus Marek: Sie konnten Ihre eigenen Erfahrungen mit einem elektronischen Monitoring-System, konkret mit dem OPHARDT Hygiene Monitoring System, kurz OHMS, auf einer Intermediate Care Station an der BDH-Klinik in Greifswald machen. Was waren Untersuchungsgegenstand und Ergebnis?
Dr. Andreas Glöckner: Im Rahmen einer stationsweiten Untersuchung wurde analysiert, wie sich die Nutzung des OHMS auf das Händehygieneverhalten, die Anzahl der nosokomialen Infektionen und den Antibiotikaverbrauch auswirkt. Im ersten Schritt, in der passiven Phase wurde über einen Zeitraum von sechs Monaten (Mai 2013 – Oktober 2013) das Händehygiene Verhalten, die Häufigkeit von nosokomialen Infektionen und der Antibiotikaverbrauch ermittelt. In der zweiten, ebenfalls sechsmonatigen „aktiven“ Phase (November 2013 – April 2013) wurden auf Basis der bereits erhobenen Nutzungsdaten gezielt Schulungen durchgeführt und die Effekte der Trainingsmaßnahmen mit dem System beobachtet und analysiert. Die nosokomialen Infektionen und der Antibiotikaverbrauch wurden wie in der ersten Phase erfasst. Im besonderen Fokus stand dabei die Auswertung des Händedesinfektionsmittelverbrauchs sowie die Menge an Desinfektionsmittel, die für eine einzelne Händedesinfektion entnommen wurde. Diese Kennzahl ist insofern relevant, da nur mit einer ausreichenden Menge (3ml) eine wirksame Desinfektion sichergestellt werden kann.
Die im einjährigen Untersuchungszeitraum erreichten Ergebnisse haben mich positiv überrascht und gleichermaßen vom OHMS überzeugt. Im Vergleich zum Vorjahr konnte eine 30-prozentige Steigerung des Händedesinfektionsmittelverbrauchs pro Patiententag erzielt werden. Auch die Qualität der Händehygiene konnte deutlich verbessert werden. Dank gezielter Trainingsmaßnahmen auf Grundlage der OHMS Nutzungsdaten konnte die Anzahl „korrekter“ Händedesinfektionen (2 Hübe pro Händedesinfektion = 3,0 ml) nahezu verdoppelt werden. Bei den harten Endpunkten wurden ebenfalls sehr erfreuliche Ergebnisse erreicht, so nahmen die nosokomialen Infektionen um 28% ab und die Antibiotikabehandlungstage reduzierten sich um 26%.
Markus Marek: Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft. Wo sehen Sie die Händehygiene in den nächsten fünf Jahren?
Dr. Andreas Glöckner: Die Zunahme von multiresistenten Erregern durch inadäquaten Antibiotikaeinsatz und schlechte Händehygiene sind eine klare Herausforderung an die Medizin in der Zukunft. Der Verbesserung der aktuell problematischen Situation bei der Händehygiene ist angesichts der defizitären Personal- und Ressourcenausstattung der Krankenhäuser eine schwer zu bewältigende Aufgabe. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Einbettung von Daten des Händehygieneverhaltens in die Qualitätsberichte der Kliniken, dies führt zu einer Erhöhung des Drucks, die Händehygiene zu verbessern, aber rein praktisch ändert sich dadurch noch nichts. Ich glaube, wir müssen den Kliniken Werkzeuge in die Hand geben, die automatisch und zeitnah über die Situation der Händehygiene und des dazu benötigten Equipments vor Ort Auskunft geben. Auf die Möglichkeiten und Vorteile eines Hygienemonitoring-Systems bin ich ja schon eingegangen.
Um elektronisch erhobene Daten noch effektiver und arbeitsentlastender einzusetzen wurde als Bestandteil von OHMS ein Feedback-Monitor entwickelt. Der Einsatz dieses Monitors direkt auf der Station einer Klinik sorgt für eine automatisierte, permanente und direkte Information der Mitarbeiter, die letztendlich für die Händehygiene am Point-of-Care verantwortlich sind. Das Personal wird über die aktuelle Händehygiene-Compliance sowie deren Trend der letzten Wochen informiert. Die in Ampelfarben auf dem Monitor dargestellte Händehygiene-Compliance, die mehrfach am Tag aktualisiert wird, ist eine Art dauerhafte „Autointervention“, die unabhängig von Hygienefachkraft und Hygieniker arbeitet, und somit die Ressourcen entlastet. Bei Unterschreitung der zuvor definierten Ziel-Compliance hat das Leitungspersonal der Station bzw. das Hygieneteam sofort Kenntnis davon und kann nach Ursachen suchen und abstellen bzw. andere Interventionen starten, um die angestrebte Compliance wieder zu erreichen.
Markus Marek: Vielen Dank für das Gespräch!
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