Wissenschaftler aus der Schweiz haben in einer Beobachtungsstudie die Händehygiene-Compliance in Tierarztpraxen und Tierkliniken genauer unter die Lupe genommen.
Regelmäßig hören wir über neue Hygiene-Skandale und Zahlen zu Krankenhausinfektionen, die im Zusammenhang mit der Humanmedizin stehen. Doch auch in der Veterinärmedizin spielt die Prävention von Infektionen eine wichtige Rolle und rückt vermehrt in den Fokus von Forschung und Wissenschaft. Analog zur Humanmedizin führen nosokomiale Infektionen in der Tiermedizin in erster Linie zu einem zusätzlichen Patientenleid und einer Verzögerung des Heilungsprozesses von Hund, Katze und Co. – hinzu kommen zusätzliche Kosten für die Behandlung der Infektion. Besonders herausfordernd wird es, wenn antibiotikaresistente Erreger „ihre Finger im Spiel haben“ und die Therapie der Infektion ergänzend erschweren. Immerhin sind laut schwedischen Forschern bis zu 18 Prozent aller Mitarbeiter in der Veterinärmedizin Träger resistenter Bakterien. [1]
Dass das Problem nicht erst seit heute aktuell ist, zeigt ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Im Jahr 1979 wies unter anderem S. Bech Nielsen in einer umfassenden Arbeit auf die Wichtigkeit der Vermeidung von nosokomialen Infektionen in der Tiermedizin hin. [2]
Im Jahr 2013 ermittelte eine Gruppe von amerikanischen Wissenschaftlern nosokomiale Infektionsraten in Tierkliniken von über 10 Prozent. [3] Besonders häufig infizierten sich dabei Tiere, die sich einem chirurgischen Eingriff unterzogen und einen Harnkatheter gelegt bekommen haben.
Hygiene in Tiermedizin das A und O
An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie sich Infektionen in der Veterinärmedizin am effektivsten verhindern lassen. Die klare Antwort lautet: mit einer sorgfältigen Händehygiene. In erster Linie darf hier die Händedesinfektion des Klinikpersonals angeführt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betitelt die Händehygiene als „wichtigste Maßnahme, um Infektionen zu reduzieren.“ [4]
Aus der Humanmedizin kennen wir alle das etablierte Modell der 5 Momente der Händehygiene, das die WHO in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts ins Leben gerufen hat und seitdem von zahlreichen nationalen Kampagnen umgesetzt wird. Das Modell fasst die Indikationen für eine hygienische Händedesinfektion im Krankenhaus in fünf Kategorien zusammen, um die Händehygiene-Regeln verständlicher für das Klinikpersonal zu gestalten.
- Vor Patientenkontakt
- Vor aseptischen Tätigkeiten
- Nach Kontakt mit potentiell infektiösem Material
- Nach Patientenkontakt
- Nach Kontakt mit der unmittelbaren Patientenumgebung
Basierend auf diesem Konzept haben Schweizer Forscher kürzlich eine umfassende Beobachtungsstudie durchgeführt, die sich auf die Händehygiene-Compliance in der Tierarztpraxis fokussiert hat. Dazu adaptierten die Wissenschaftler die 5 Momente der Händedesinfektion auf die Gegebenheiten der Veterinärmedizin.
Tiermedizin: Die Händedesinfektion hat noch Luft nach oben
Von September 2018 bis Mai 2019 nahmen insgesamt sieben veterinärmedizinsiche Einrichtungen aus der Schweiz teil. In Summe ermittelten die Forscher 2.056 Momente, in denen eine Händedesinfektion notwendig gewesen ist und notierten sich, ob in diesen Situationen tatsächlich eine Desinfektion der Hände durchgeführt wurde oder nicht. Dazu beobachtete eine geschulte Person die Mitarbeiter in den Tierkliniken.
Die Resultate zeigen, dass nur in 32 Prozent aller erforderlichen Fälle eine Händedesinfektion stattgefunden hat. Speziell die aus infektionsrelevanter Sicht wahrscheinlich wichtigste Indikation „vor aseptischen Tätigkeiten“ schnitt mit einer Händehygiene-Compliance von 12 Prozent am schlechtesten ab. Dieses Ungleichgewicht zwischen den Indikationen deckt sich mit vorangegangen Studien zur Hygiene in der Tiermedizin. [5]
Die Autoren untersuchten sogar, wie sich das Händehygieneverhalten in den unterschiedlichen Räumlichkeiten einer Tierarztpraxis bzw. Tierarztklinik darstellt. Hier schnitt der Besprechungsraum mit einer Händehygiene-Compliance von 42 Prozent am besten ab, wohingegen im Vor-Operationsraum lediglich nur jede fünfte Händedesinfektion durchgeführt wird.
Desinfektionsspender zugänglich machen, Feedback geben und Hygiene schulen
Die in der Schweizer Studie festgestellten Ergebnisse unterstreichen, dass die Hygiene in der Tiermedizin noch ein großes Verbesserungspotenzial hat und sich hinsichtlich des Handdesinfektionsverhaltens ungefähr auf einem Niveau mit der Humanmedizin befindet. Im Krankenhaus bewegt sich die Händehygiene-Compliance je nach Stationstyp erfahrungsgemäß zwischen 30-50%. [6]
Die Tatsache, dass der Desinfektionsmittelspender häufiger nach der Patientenbehandlung aufgesucht wird als vor dem Tierkontakt ist für die Wissenschaftler einmal ein Indiz dafür, dass die Händehygiene vom medizinischen Personal eher dem Eigenschutz dient.
Konkrete Ansätze zur Verbesserung des Infektionsschutzes in den Tierkliniken und Tierarztpraxen liegen laut Studienautoren in der Umsetzung einer sogenannten multimodalen Strategie. Diese umfasst regelmäßige und konsequente Händehygiene-Schulungen für das Personal, die Optimierung der Lokation und Anzahl von Händedesinfektionsmittelspendern und auch ein stetiges Feedback an das Personal hinsichtlich des Händehygieneverhaltens.
Wir schließen diesen Artikel mit einer Zahl, die noch einmal den hohen Stellenwert der Veterinärmedizin als Bestandteil der Medizin verdeutlichen soll: Alleine in Deutschland gibt es laut Bundestierärztekammer heute über 12.000 Tierärzte – Tendenz steigend. [7]
Studie zu “Hygiene in Tiermedizin”:
Schmidt JS, Hartnack S, Schuller S, Kuster SP, Willi B. Hand hygiene compliance in companion animal clinics and practices in Switzerland: An observational study. Vet Rec. 2021;e307.
Quelle:
[1] Grönlund Andersson, Ulrika, et al. “Outbreaks of methicillin-resistant Staphylococcus aureus among staff and dogs in Swedish small animal hospitals.” Scandinavian journal of infectious diseases 46.4 (2014): 310-314.
[2] Bech-Nielsen, Steen. “Nosocomial (hospital-acquired) infection in veterinary practice.” Journal of the American Veterinary Medical Association 175.12 (1979): 1304-1307.
[3] Ruple-Czerniak, A., et al. “Using syndromic surveillance to estimate baseline rates for healthcare‐associated infections in critical care units of small animal referral hospitals.” Journal of veterinary internal medicine 27.6 (2013): 1392-1399.
[4] World Health Organization (WHO) “WHO guidelines on hand hygiene in health care: a summary.” Geneva: World Health Organization 119.14 (2009): 1977-2016.
[5] Smith, Jo R., Zoe R. Packman, and Erik H. Hofmeister. “Multimodal evaluation of the effectiveness of a hand hygiene educational campaign at a small animal veterinary teaching hospital.” Journal of the American Veterinary Medical Association 243.7 (2013): 1042-1048.
[6] Erasmus, Vicki, et al. “Systematic review of studies on compliance with hand hygiene guidelines in hospital care.” Infection Control & Hospital Epidemiology 31.3 (2010): 283-294.
[7] Bundestierärztekammer – Statistik 2020: Tierärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland (2020).
[…] Hygiene in Tiermedizin: Nur jede 3. erforderliche Händedesinfektion durchgeführt […]
[…] Hygiene in Tiermedizin: Nur jede 3. erforderliche Händedesinfektion durchgeführt […]