Kliniken und Krankenhäuser messen die Händehygiene-Compliance
Die Erfassung und Analyse der Händehygiene im Krankenhaus ist wichtig für den Patientenschutz.
Forschung und Wissenschaft

Händehygiene-Compliance: Beobachtest du noch oder misst du schon?

Die direkte Beobachtung zur Erfassung des Händehygieneverhaltens in Krankenhäusern und Kliniken gilt als Goldstandard aber birgt auch einige Nachteile. Einer davon: der Hawthorne-Effekt. Aber wie hoch ist sein Einfluss wirklich? Und welche Alternativen stehen Hygieneverantwortlichen zur Verfügung?

In Zeiten wie der Coronakrise wird einmal mehr deutlich, wie wichtig eine sorgfältige Händehygiene für den Infektionsschutz ist. Aber auch fernab großer Epidemien nimmt sie eine Schlüsselrolle ein und ist in medizinischen Einrichtungen integraler Bestandteil der Basishygiene.

Jährlich erleiden über 600.000 Menschen in Deutschland eine sogenannte nosokomiale Infektion. Bis zu 20.000 enden tödlich. [1] Nicht all diese Fälle lassen sich verhindern, doch ein gewisser Anteil schon. Experten gehen davon aus, dass sich immerhin bis zu 30 Prozent aller Krankenhausinfektionen vermeiden lassen. Ein Großteil davon durch striktes Einhalten der Händehygiene-Regeln. [2]

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert hierzu explizit fünf Indikationsgruppen, zu denen eine Händedesinfektion vom Krankenhauspersonal im Rahmen der Patientenversorgung durchzuführen ist. Ein Beispiel stellt die Händedesinfektion vor dem Legen eines zentralen Venenkatheters dar – dies ist der 2. Indikationsgruppe „vor aseptischen Tätigkeiten“ zuzuordnen. Rechnet man all diese Situationen minutiös zusammen, fallen auf einer internistischen Intensivstation pro Patiententag insgesamt 218 Indikationen für eine hygienische Händedesinfektion an. [3]

Händehygiene-Compliance: Der Schein trügt

Aber wie viel Potential steckt in der Händehygiene eigentlich noch, um nosokomiale Infektionen zu vermeiden? Beim Blick auf Daten vom Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ) aus dem Jahr 2018 von über 420 Krankenhäusern sehen wir, dass das Desinfizieren der Hände im Krankenhaus doch sehr ordentlich praktiziert wird – so werden drei von vier notwendigen Händedesinfektionen durchgeführt. Auf Intensivstationen wird sogar eine Compliance von fast 80 Prozent beobachtet. [4]

Und hier fällt das entscheidende Stichwort: Beobachtung.

Die aufgeführten Daten basieren alle auf der Erfassungsmethode der direkten Beobachtung. Das bedeutet konkret in Praxis: Eine geschulte Person beobachtet, ob das Pflegepersonal oder die Ärzte zu einem jeweils erforderlichen Zeitpunkt eine hygienische Händedesinfektion durchführt. Dies führt jedoch mehr oder weniger ungewollt dazu, dass die Beobachteten, in dem Wissen das sie beobachtet werden, ihr Verhalten ändern. Somit sind die erhobenen Daten fehlerhaft und spiegeln nicht die tatsächliche Situation in der täglichen Praxis wider. In diesem Zusammenhang ist vom sogenannten „Hawthorne-Effekt“ die Rede. Benannt ist dieses Phänomen nach den Hawthorne-Werken der Western Electric Company. Hier führten die Harvard-Professoren Elton Mayo und Fritz Roethlisberger in den 1920er bzw. 1930er Jahren einige entsprechende Untersuchungsreihen durch.

Hawthorne-Effekt bei der Händehygiene

Im Bereich der Krankenhaushygiene und speziell der Händehygiene ist der Hawthorne-Effekt gut untersucht. So zeigte eine kanadische Studie von Jocelyn Srigley und Kollegen aus dem Jahr 2014, dass dreimal mehr Händedesinfektionen an dem exakt gleichen Standort durchgeführt wurden, wenn für das Klinikpersonal ein Händehygiene-Beobachter in Sichtweise war, verglichen mit Zeiten, wo kein Beobachter in der Nähe war.  [5]

Der Hawthorne-Effekt bei der direkten Beobachtung zur Händehygiene-Compliance.
Der Hawthone-Effekt beeinflusst das beobachtete Händehygieneverhalten

Ein Team um Stefan Hagel von der Universitätsklinik Jena quantifizierten im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit ebenfalls den Hawthorne-Effekt. Während der Direktbeobachtung wurden durchschnittlich 21 Händedesinfektionen pro Stunde ermittelt. In Nicht-Beobachtungs-Phasen und unter Einbeziehung des OPHARDT Hygiene Monitoring Systems und elektronischen Händedesinfektionsmittelspendern, die jedes einzelne Hygiene-Ereignis registrierten, wurden lediglich 8 Handdesinfektionen durchgeführt. [6] Ergo: Eine Steigerung der Händehygiene-Ereignisse durch den Hawthorne-Effekt um das 2,6-fache.

Eine aktuelle Studie aus März 2020 kommt auf ähnliche Resultate und stellte fest, dass die Händehygiene-Direktbeobachtung zu einem zweieinhalbfachen Anstieg der getätigten Händedesinfektionen auf zwei Transplantationsstationen eines Krankenhauses geführt hat – im Vergleich zu den elektronisch gemessenen Spenderaktivierungen ohne anwesenden Beobachter. [7]

Die vorgestellten Studien sprechen eine klare Sprache: Die Direktbeobachtung birgt Nachteile bei der Erfassung von sauberen, unverfälschten Daten. Diese sind jedoch für eine klare Bewertung von infektionsrelevanten Fragestellungen durch die Hygieneabteilung unabdingbar und dienen auch als wichtige Grundlage für regelmäßige Hygieneschulungen des Klinikpersonals. Dass die direkte Beobachtung dennoch interessante Daten zu einem qualitativen Aspekt der Händehygiene – der Einreibezeit – liefert, sollte nicht unterschlagen werden. Es sollte zudem bedacht werden, dass das Beobachten nur einen relativ kleinen Zeitabschnitt abdeckt, was auf mangelnde zeitliche bzw. personelle Ressourcen zurückzuführen ist.

Wie kommen wir an valide Händehygiene-Daten?

Als Mittel der Wahl, um die beschriebenen Probleme zu umgehen, etablieren sich zunehmend elektronische Monitoring-Systeme zur Händehygiene und gehen sogar noch einen Schritt weiter. Über intelligente Desinfektionsmittelspender, die kontinuierlich und vollautomatisch ihre Verbrauchsdaten erfassen, stehen Hygieneverantwortlichen unverfälschte Hygienedaten „24/7“ zur Verfügung – und das komfortabel auf Knopfdruck über entsprechende Auswertungsprogramme.

„Die Direktbeobachtung ist aufgrund des Hawthorne-Effektes zur Bestimmung der realen Händehygiene-Compliance ungeeignet. Jedoch ist sie für die Ermittlung der Indikationen, die Beschreibung der Händehygiene-Qualität (Technik, Einwirkzeit) und das persönliche Feedback unabdingbar. Elektronische Monitoringsysteme können dazu beitragen, die tatsächliche Compliance deutlich objektiver zu ermitteln.“

Dr. med. Andreas Glöckner, Medical Director

Und auch qualitative Aussagen kommen nicht zu kurz: Durchschnittliche Entnahmemengen je Hygiene-Ereignis geben Aufschluss, ob Händedesinfektionen überhaupt ordentlich durchgeführt werden. Als Referenzmenge sind seitens des Robert Koch-Instituts (RKI) 3 ml empfohlen – mindestens. Ein weiterer Punkt, den die am RKI angegliederte und renommierte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Vergleich der vorhandenen Messmethoden klar auf der Habenseite der elektronischen Systeme sieht, ist das Händehygiene-Feedback an das Krankenhauspersonal. [8] Dies nimmt eine immer wichtigere Rolle ein, um die Compliance nachhaltig zu verbessern.

Die intelligenten Hygienespender gehen mittlerweile sogar soweit, dass eine Rückmeldung zum Händehygieneverhalten an Pflegepersonal und Ärzteschaft direkt vom Spender selbst ausgeht. Und zwar mit visuellen Signalen in Form einer grünen LED wie bei der ingo-man® SmartNose. Sozusagen eine Autointervention – ressourcenschonend und direkt.

Feedback Händehygiene mit ingo-man
Feedback mit der ingo-man SmartNose

Einen möglichen Vorwurf, dass elektronische Systeme nicht erfassen, ob Händedesinfektionen indikationsgerecht durchgeführt wurden, stehen weitere Untersuchungsergebnisse der oben aufgeführten Hagel-Studie entgegen, das lediglich 5 Prozent aller in der Arbeit beobachteten Händehygiene-Events nicht den bekannten „5 Momenten“ entsprachen.

Fazit

Insofern bleibt abschließend festzuhalten, dass die eingangs erwähnten Compliance-Werte zumindest kritisch hinterfragt werden dürfen und mit Vorsicht zu interpretieren sind. In der Händehygiene steckt viel Potential, um nosokomialen Infektionen und auch dem Trend zunehmender Antibiotikaresistenzen nachhaltig entgegenzuwirken – mit elektronischen Monitoring-Systemen als zuverlässiges und qualitätssicherndes Messinstrument.


Quellen:

[1] Zacher, Benedikt, et al. “Application of a new methodology and R package reveals a high burden of healthcare-associated infections (HAI) in Germany compared to the average in the European Union/European Economic Area, 2011 to 2012.” Eurosurveillance 24.46 (2019).

[2] Gastmeier, P., et al. “Wie viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar?.” DMW-Deutsche Medizinische Wochenschrift 135.03 (2010): 91-93.

[3] Stahmeyer, J. T., et al. “Hand hygiene in intensive care units: a matter of time?.” Journal of Hospital Infection 95.4 (2017): 338-343.

[4] Nationales Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen. Modul HAND-KISS_S Referenzdaten 2018.

[5] Srigley, Jocelyn A., et al. “Quantification of the Hawthorne effect in hand hygiene compliance monitoring using an electronic monitoring system: a retrospective cohort study.” BMJ Qual Saf 23.12 (2014): 974-980.

[6] Hagel, Stefan, et al. “Quantifying the Hawthorne effect in hand hygiene compliance through comparing direct observation with automated hand hygiene monitoring.” infection control & hospital epidemiology 36.8 (2015): 957-962.

[7] Vaisman, Alon, et al. “Out of sight, out of mind: a prospective observational study to estimate the duration of the Hawthorne effect on hand hygiene events.” BMJ Quality & Safety (2020).

[8] Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut “Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens.” Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 9 (2016): 1189.

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